Nochmals vom Papste und seinem Besuch in Berlin.

Mein Weg zur Taufe wurde zu großen Teilen von Papst Benedikt XVI. eingeleitet, jenem Panzerkardinal, dessen "erzreaktionäres" Wesen ihn dazu befähigte, einen Liebesbrief an mich (und nicht nur an mich) zu verfassen, wie ihn kein Mensch bisher zu schreiben in der Lage war.

Es mag traurig oder einsam klingen, das das Antrittslehrschreiben eines alten Mannes einen derartigen Eindruck hinterlässt, sagt aber etwas aus über das (Un-)Verständnis von "Liebe", das in weiten Teilen meiner Generation herrscht (Ob ich in dieser Hinsicht besser bin, diese Frage sei zunächst dahingestellt).

Das in seiner Analyse hervorragende, in seiner Conclusio schlicht daneben liegende Manifest Der kommende Aufstand hat für diesen Mangel an Liebesfähigkeit die treffenden Worte gefunden:

Er rennt auf einem Laufband vor dem Spiegel in seinem Fitnesscenter. Sie fährt am Steuer ihres Smart von der Arbeit nach Hause zurück. Werden sie sich treffen? (...)

Das Paar ist wie die letzte Stufe des großen, gesellschaftlichen Debakels. Es ist die Oase in der Mitte der menschlichen Wüste. In ihm wird unter dem heiligen Schutz »des Intimen« all das gesucht, was so offenkundig alle zwischenmenschlichen Beziehungen heutzutage verlassen hat: die Wärme, die Einfachheit, die Wahrheit, ein Leben ohne Theater und Zuschauer. Aber ist der Liebestaumel vorbei, dann lässt die »Intimität« die Hosen runter: Sie ist selbst eine soziale Erfindung, sie spricht die Sprache der Frauenzeitschriften und der Psychologie, sie ist wie der Rest bis zum Erbrechen voll mit Strategien. Es gibt darin nicht mehr Wahrheit als irgendwo sonst, denn auch hier herrschen die Lüge und die Gesetze der Fremdhaftigkeit. Und wird sie darin gefunden, glücklicherweise, diese Wahrheit, dann ruft sie ein Teilen hervor, das der Form des Paares selbst widerspricht. Denn das, wodurch die Menschen sich lieben, kann auch das sein, was sie liebenswert macht, und was jede Utopie des Autismus zu zweit zerstört.

Als ich (freilich Jahre zuvor) Deus caritas est das erste Mal las, ließ mich der schüchtern um Verständnis für seine Sache werbende Text berührt zurück.
Wer schreibt so und warum, habe ich mich damals gefragt als es mir noch fern lag, einmal katholisch zu sein.

Sicher, an Sentimentalitäten sollte man sich nicht allzu lange aufhalten, doch was hier formuliert wird, ist mehr: Es ist eine Revolution!

Welch' große Handlungsfähigkeit wird hier jenseits politischer Gräben ermöglicht:
Er hat uns zuerst geliebt und liebt uns zuerst; deswegen können auch wir mit Liebe antworten. Gott schreibt uns nicht ein Gefühl vor, das wir nicht herbeirufen können. Er liebt uns, läßt uns seine Liebe sehen und spüren, und aus diesem ,,Zuerst’’ Gottes kann als Antwort auch in uns die Liebe aufkeimen.
...
Wenn die Berührung mit Gott in meinem Leben ganz fehlt, dann kann ich im anderen immer nur den anderen sehen und kann das göttliche Bild in ihm nicht erkennen. Wenn ich aber die Zuwendung zum Nächsten aus meinem Leben ganz weglasse und nur ,,fromm’’ sein möchte, nur meine ,,religiösen Pflichten’’ tun, dann verdorrt auch die Gottesbeziehung. Dann ist sie nur noch ,,korrekt’’, aber ohne Liebe. Nur meine Bereitschaft, auf den Nächsten zuzugehen, ihm Liebe zu erweisen, macht mich auch fühlsam Gott gegenüber. Nur der Dienst am Nächsten öffnet mir die Augen dafür, was Gott für mich tut und wie er mich liebt.


So können uns diejenigen, die so scharf gegen den Besuch des Papstes im September protestieren wollen, sehr viel über das Fehlen, das Versagen der Kirche in Bezug auf den Kern unseres Glaubens sagen.
Die in wesentlichen Punkten der öffentlichen Diskussionen weggeduckten Bischöfe (Bei allem Respekt, wer würde dem hier auch nur den Ball abkaufen, den er zu dieser Gelegenheit in den Händen hält?), biedermeierliche BRD-Frömmigkeit sicherlich wohlmeinender Priester und Predigten, die zwar Hoffnung verbreiten möchten, aber nicht den Sprung aus den Sprach- und Glaubensbildern der wohlständigen 70er-Jahre schaffen, so dass ich mich nicht wundere, dass derlei Indifferenz die Wut und das Unverständnis der Kirchen-Gegner herausfordert.

Es gäbe so viel zu sagen, zu erläutern und klären...
Schließlich, so schreibt der Berliner Medienwissenschaftler Norbert Bolz in Das Wissen der Religion:

Es gibt keine Persönlichkeit ohne Transzendenz. Der ganz Andere (...) ist uns innerlicher als wir uns selbst.
Gebildete Leser werden diesen Satz spontan dem klügsten aller Psychoanalytiker, Jacques Lacan, zuschreiben; er stammt aber aus der Feder von Papst Benedikt XVI. Christlicher, also metaphorischer formuliert heißt das: Der Exodus des Herzens ist der dialektische Kern des Glaubens. Man kommt nur zu sich im Auszug aus sich selber.
lacque jacan - 14. Jul, 18:21

... Exodus der Liebe

So kleingeistig der pseudokritische Gestus der antifaschistischen, antisexistischen, antihomophoben, antiantisemitischen „Linken“ ist, so wenig überzeugt die weihrauchschwangere Apologetik ihres Opfers, die neben dem üblen Geruch der Straße leider auch den Blick einnebelt. Den Blick auf das, was in der Konsequenz richtig und gut, in der Ausführung aber billig ist und was umgekehrt in der Ausführung teuer und erhaben, in der Konsequenz aber falsch ist. Der Reihe nach. Die Analyse des unsichtbaren Komitees trifft, in Teilen, tatsächlich: unwahrscheinlich, dass der lebende Tote vom Laufbahn und die Smart-Fahrerin je aufeinanderstoßen (es sei denn, die Frau am Steuer fährt so gut wie diese hier: http://www.youtube.com/watch?v=ZUUrzHPL5jU). Und ja, beider Intimität ist in Wahrheit ganz und gar ex-tim und überdeterminiert von Ideologien, die jede solche Intimität heute zum Witz geraten lassen. Aber die Lösung, die hier präsentiert wird – nämlich statt der Liebe im anderen erst mal die Liebe im „ganz Anderen“ zu suchen – ist ein reaktionäres Einknicken vor der gewalttätigen Herausforderung der Liebe, die nicht gewalttätiger wird, je mehr Laufbänder McFit aufstellt und Smarts in Böblingen vom Laufbahn fallen. Gott mag uns zuerst geliebt haben, aber diese symbolische Liebe dieses ein für allemal toten „ganz Anderen“ kann heute nur noch spüren, wer sich der Gewalt der realen Liebe des anderen nicht aussetzen mag. „Wenn die Berührung mit Gott in meinem Leben ganz fehlt, dann kann ich im anderen immer nur den anderen sehen und kann das göttliche Bild in ihm nicht erkennen.“ – Die perverse Logik wird hier kaum verdeckt: Nur, wenn ich mit mir selbst im Reinen bin, weil ich mich als von Gott geliebt erkenne, kann ich lieben. Wenn dieser Gott aber tot ist, woran wir leicht zweifeln können, und also niemanden mehr lieben kann, ist alle Liebe verloren, in der ein Wesen, das mit sich selbst eo ipso nicht im Reinen ist, zu einem anderen Wesen, das dies ebenso wenig ist, sich verfangen kann. Also, was tun? Sich der Liebe entziehen bis die Forderung des Glaubens an den „ganz Anderen“ auch der andere erfüllt. Eine solchermaßen bedingte Liebe ist aber gerade keine mehr und die Aussicht auf die Erfüllung *nur* dieser Bedingung in unserer gottlosen Welt – die gerade wegen ihrer Gottlosigkeit nur Welt sein kann – ist nicht bloß utopisch, sondern blöde. Und dann: Die Kritik an denen, die „den anderen immer nur als anderen sehen“ verkennt, dass wir alle uns selbst schon „anders“ sind – und nicht etwa „ ganz Anders“, wie Bolz mit seinem Transzendenz-Begriff in post-metaphysischer Verwirrung mahnt. Die Transzendenz nämlich, die er im Bezug auf den „klügsten aller Psychoanalytiker“ mit dem Papst verteidigt, hat einen Makel: sie ist vollkommen immanent. Der „ganz Andere“ liegt eben nicht außerhalb des Subjekts, sondern beide sind wechselseitig aufeinander hin entäußert. Richtig ist: Das Subjekt ist zur Liebe nicht fähig ohne diesen „ganz Anderen“ – aber richtig ist das nur solange, wie wir hinzufügen: kein „ganz Anderer“ ohne das Subjekt.

Inlitore - 15. Jul, 00:56

Lieber Freund!

Wie charmant, aber nicht minder böswillig Du nicht nur die Buchstaben Deines toten geistigen Vaters vertauschst, nein, auch dessen Prämissen mit denen des Heiligen Vaters, dem selbst Du nachsehen wirst, dass er Gott oder vielmehr das Prinzip, das mit diesem Namen benannt wird noch nicht für ganz hinüber hält.

Darüberhinaus übersiehst Du in Deinen atheistischen Wahrscheinlichkeitsrechnungen, dass die Liebe, die Du im Anderen im Zweifel auch ohne den "ganz Anderen" suchen und finden kannst, nichtsdestominder eines Grundes bedarf, der zugleich der Grund des Ganzen ist. Wie vermittelte sich sonst diese Liebe?
Du nennst es das Ganze "nur Welt..." - bittesehr!

Der christliche Glaube hat von Beginn an diese "nur Welt" nicht außer Acht gelassen und die hier geäußerten Zweifel immer schon impliziert.
In der Person Jesu Christi vollzieht sich eben die Anwesenheit des Ewigen (Grundes, etc.) selbst in dieser "gottlosen Welt", der Unberührbare wird berührbar, wie ja auch der Geliebte generell etwas berührbarer ist als die Liebe an sich. Die Frage, ob denn dieser liebende Geliebte Jesus Christus auch heute noch berührbar ist, muss man dem Dogma sei Dank als Katholik natürlich bejahen.

Wie sich hier nicht überraschend zeigt, gibt es Menschen, die angesichts dieser Anfrage unverändert weitergehen und keinen muss es suspensiert gesagt kümmern, sie bleibt aber bestehen, ist bedingungslos, unabhängig davon ob man sich wie hier etwas pathetisch formuliert ist "der Gewalt der realen Liebe des anderen" aussetzt oder nicht - Was unterscheidet -das vorherige mitbedacht- also die reale von der "irrealen" Liebe?

Der Rest, vor allem der Teil über das "mit-sich-im-Reinen" sein, überstrapaziert das päpstliche Zitat und auch die kurze Überlegung Bolz' dazu.

Ansonsten passt natürlich kein Blatt Papier zwischen Deine skeptischen Anfragen und meine einigermaßen gläubige Apologetik.

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