Worte, die wirken, was sie benennen

Er schämt sich, daß er nicht zu reden wagt, und schämt sich, daß er trotzdem reden will. Schämt sich auch für die, die ihm die Sache nicht gerade erleichtern, die ihm den Kopf unter Wasser drücken und behaupten, ihm zu helfen, die ihm ansatt eines Rettungsrings Worte zuwerfen, schwer wie Ankerbojen. Bleigewichte, ja, Bleigewichte haften an ihm. Doch, er geht zur Messe, oft, sonntags, aber das will nichts heißen. Leider heißtes wirklich nichts; es kann für niemanden mehr etwas heißen. Es gibt keine Sprache mehr für diese Dinge, keinen Tonfall, keine Tonart, kein Register für das Sprechen, das Aussprechen. Alles ist vertrackt. Er schämt sich dessen, was sonntags, wenn er zur Messe geht, von der Höhe der Kanzel herab ertönt, aber er schämt sich auch des ungläubigen Hasses oder der belustigten Gleichgültigkeit derer, die über Kirchgänger spotten. Schämt sich, wenn er hingeht, schämt sich, wenn er nicht zu sagen wagt, daß er hingeht. Hört er, was drinnen gesprochen wird, knirscht er mit den Zähnen; hört er aber, was draußen gesprochen wird, schäumt er vor Wut.

in: Bruno Latour: Jubilieren. Berlin 2011.

Aus dieser auf den ersten Blick ganz verzweifelt scheinenden Position heraus will ich in diesem Blog versuchen, Kommentare zum Zeitgeschehen, aber auch allgemeine Gedanken zu formulieren, die den katholisch-christlichen Koordinaten eben jener Latour'schen Position im Dilemma entsprechen.

Ist es hierbei angebracht zu fragen, was, welche Erlebnisse oder welche heute so gerne herangezogenen Brüche mich -um im Bild zu bleiben- in diese Lage brachte?

Nein - sage ich und hebe den Blick an die Wand auf eine kleine Marienikone, die mir eine, durch ihre derzeitige Abwesenheit sehr vermisste Freundin im vergangenen Jahr aus Rumänien mitbrachte.

Trauernd und zugleich skeptisch, irgendwie unverständig richtet Maria ihre Augen auf ein freilich nicht zu sehendes Kreuz, auf das Gerüst, an das ihr Sohn nun mit Nägeln geschlagen wird.
Wußte Maria, was sie unters Kreuz geführt hat?
Fragte sie sich, welcher Moment in ihrer Geschichte den Anlass dafür gab, dass sie nun um ihren Sohn weinen muss?
Sicher nicht.
Die Frage aber, wer sie dorthin brachte, ist somit schon beantwortet.
Für Maria und für mich.

Keinesfalls sehe ich in der Katholischen Kirche nur einen Haufen sprachloser oder allenfalls stammelnder Sozialarbeiter, die sich gelangweilt vom zuvor so wirkmächtig verkündeten Geschehen am Kreuz abgewendet haben und die Heilige (was bedeutet das eigentlich?) Kirche nunmehr nach ihren zunächst nationalisierten, dann sozialdemokratisierten, dann feministischen, ökologisierten und zuguterletzt durchge-gender-ten Denkweisen und Sprachen analysieren und meist zu einem abschätzigen Urteil kommen. Dies muss sich ändern, jenes muss weg, das will ich nicht mehr hören und jenes kann ich nicht mehr sehen. Nur ich, der sich in dieser Welt doch einigermaßen eingerichtet hat, "will so bleiben, wie ich bin". O superbia...

Diese Gruppe der Unverständigen ist groß. Wahrscheinlich bin ich selbst noch taub, stumm und blind, fern davon ein 'guter' Katholik zu sein, doch zieht es mich immer wieder zu diesem Moment am Kreuz, in dem die Wahrheit über uns so hell aufblitzt und die Dinge zerschlägt, dass jeder der hören will, es hört und jeder der sehen will, es sieht.

Die, die sich nicht als Teil dieses Geschehens verstehen, die die draußen stehen und spotten oder gar dagegen sind, weil sie gegen "Gott, Staat und Patriarchat" sind, gegen ihre Eltern, gegen ihre Nachbarn, gegen die Müllabfuhr, gegen Straßenschilder, gegen andere Menschen, die irgendwie auch dagegen sind, seien hier ausdrücklich mit einbezogen.
Die, die gegen Ausbeutung sind, gegen den Kapitalismus, gegen Rassismus, gegen Sexismus, gegen ungerechte Geschlechterkonstruktionen, die gegen Chauvinismus und Nationalismus sind, haben ja schon fast verstanden, welche Erlösung das Reich Gottes bringen könnte, ließe man es doch nur wachsen.

Das gleiche gilt selbstverständlich auch für jene, die in homogen herbei gewünschten Nationen, in der "christlich-jüdischen Kultur", im "freien Markt" ihr Glück ersehnen.
Es gibt keinen Widerspruch, den das christliche Heil nicht einzuhegen in der Lage wäre...

"Liebe" und "Freiheit" sind sicherlich zwei Begriffe, die sich doch auch jeder noch so kämpferische Antifaschist aus dem Schwarzen Block, jeder Neonazi zu eigen machen würde.
Liebe und Freiheit sind die zentralen Worte des Christentums.
Wem gehören sie? Wen zu verbinden sind sie in der Lage?

Von dem kolumbianischen Aphoristiker Nicolas Gomez Davila stammt folgender Satz:
„Zwischen dem Skeptizismus und dem Glauben gibt es keinen Konflikt, sondern einen Pakt gegen den Betrug.“

Die Worte -und damit will ich meine kurze Einführung zu diesem Blog beenden- dieses Paktes will ich mit meinen bescheidenen Mitteln zu finden helfen.
tiberius.xp - 14. Jul, 09:12

Herzlich willkommen in der Blogozoese

Schön, daß wir wieder einer mehr aus Berlin sind. Ende Juli/Anfang August machen wir ein Bloggertreffen in Berlin. Der Termin steht noch nicht fest. Ich werde heute oder morgen mal ein paar Vorschläge auf meinem Blog unterbreiten. Es wäre schön, wenn Du dabei bist. Vale! Tiberius

Inlitore - 14. Jul, 12:57

Danke!

Danke, tiberius. Schön, dass es gleich so nette Resonanz gibt!

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